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8 FRAGEN AN KATRIN STRÖBEL

Katrin Ströbel (*1975) lebt und arbeitet in Marseille, Stuttgart und Rabat. Sie hat Bildende Kunst und Literaturwissenschaft studiert und parallel zur künstlerischen Arbeit in Kunstgeschichte über das Verhältnis von Text und Bild in der zeitgenössischen Kunst promoviert. Sie ist Mutter.

Ihre Zeichnungen, ortsspezifischen Arbeiten und Installationen basieren auf einer kritischen Auseinandersetzung mit den sozialen und geopolitischen Bedingungen, die unseren gesellschaftlichen Alltag definieren. In zahlreichen zeichnerischen Werken und Collagen dekonstruiert die Künstlerin Geschlechterverhältnisse und weibliche Stereotypen. Ihre Arbeit beschäftigt sich zudem mit kulturellen Codes und (visuellen) Sprachen sowie mit Kolonialismus, Migration und Vertreibung, und zeigt, wie stark Gender- und Geopolitiken miteinander verbunden sind.

Seit 2004 hat Katrin Ströbel regelmäßig u. a. in Marokko, Nigeria, Senegal, Südafrika, Peru, Australien und den USA gearbeitet. Sie ist seit rund 15 Jahren international in Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten. Sie lehrte rund 10 Jahre als Professorin an der Villa Arson, École nationale supérieure d’art in Nizza, seit Frühjahr 2023 lehrt sie an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart. Seit 2013 arbeitet Katrin Ströbel gemeinsam mit dem marokkanischen Künstler Mohammed Laouli an „frontières fluides – fluides boundaries“, einem plurimedialen Projekt, das sich mit Grenzüberschreitungen und Transitbewegungen zwischen Nordeuropa und dem Mittelmeerraum auseinandersetzt.

www.katrin-stroebel.de

1. Du hast dein Studium 2001/02 an der ABK und der Universität Stuttgart abgeschlossen und anschließend in Kunstgeschichte promoviert. Welches waren deine ersten Schritte in die professionelle künstlerische Tätigkeit?

Meine ersten Schritte in die künstlerische Tätigkeit waren eher von Neugier geprägt und weder besonders professionell noch besonders strategisch, im Gegenteil… Wir wurden damals von der Hochschule kaum auf das Leben nach dem Abschluss vorbereitet. Ich habe in relativer Naivität einfach losgelegt, und hielt mich mit ersten Verkäufen, Jobs in Kunstvermittlung und Gestaltung über Wasser. Ich hatte von Beginn an Interesse, mehr über Kunst in anderen geografischen Kontexten zu lernen, und von außen und mit etwas Abstand auf die eurozentristische Kunstblase zu schauen. Daher habe ich mich zunächst für Residencies im Ausland beworben, die mir zudem finanziell erlaubten zwei, drei Monate oder länger irgendwo zu leben und zu arbeiten, erst in Frankreich, dann in Marokko, im Senegal und in verschiedenen anderen vorrangig afrikanischen Ländern. Damals gab es zumindest an der Hochschule und in meinem Umfeld kaum dekoloniale Diskurse, der globale Süden war noch nicht wirklich auf dem Radar der europäische Kunstwelt. Ich kann mich noch an die documenta11 von Okwui Enwezor 2002 erinnern, ich verstand das alles nur in Teilen und konnte das auch nicht wirklich analysieren. Aber ich verstand, dass diese documenta von großer Bedeutung war, und dass wir in Europa oft keine Ahnung hatten, was sonst so in der Welt in der zeitgenössischen Kunst los war.
Rückblickend könnte man meinen, dass ich strategisch gehandelt habe, aber zu der Zeit wurde ein solches Interesse an nicht-europäischen Kunstszenen – zumindest in meinem Umfeld – eher mit Achselzucken kommentiert. Ich erinnere mich noch gut, wie ich einem der Betreuer meiner Doktorarbeit sagte, dass ich die Arbeit an der Promotion unterbrechen wollte, um ein mehrmonatiges Nordafrika-Stipendium anzutreten. Seine Reaktion damals war: Was willst du denn dort? Gibt es da überhaupt zeitgenössische Kunst?

2. Welche Stipendien, Preise und anderen Förderungen hast du zu Beginn deiner Karriere erhalten und inwiefern haben dich diese Programme bei der Weiterentwicklung deiner Arbeit unterstützt? Welche Formen der Künstler:innen-Förderung würdest du dir darüber hinaus wünschen?

Ich habe parallel zum Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit promoviert, das war Segen und Fluch zugleich. Ein Vorteil war aber, dass ich mich sowohl um künstlerische als auch um wissenschaftliche Stipendien bewerben konnte. Mein Promotionsstipendium der Heinrich-Böll-Stiftung hat unwissentlich manches Kunstprojekt mitfinanziert. Das Stipendium an der Cité internationale des arts in Paris war wichtig, weil dort viele langjährige Freundschaften mit Künstler:innen aus der ganzen Welt begonnen haben. Diese Freundschaften waren später auch die Basis für gemeinsame Ausstellungsprojekte, z. B. in Peru oder Südafrika. Rückblickend hatte ich das Glück, mit einem Mix aus Preisen, Stipendien, Galerieausstellungen und Nebenjobs ganz gut über die ersten Jahre zu kommen. Aber wirkliche Programme zur Professionalisierung oder zur inhaltlichen Weiterentwicklung der Arbeit waren mir zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt. Damit hätte ich in den Anfangsjahren viel wertvolle Zeit und Selbstvertrauen gewonnen.

Welche Formen der Künstler:innen-Förderung ich mir wünschen würde, hängt auch davon ab, von welchem Zeitpunkt in einer künstlerischen Karriere wir sprechen. Zunächst stehen die Akademien in der Verantwortung, die Studierenden besser auf die ersten Jahre künstlerischer Tätigkeit vorzubereiten und ihnen dabei zu helfen, Netzwerke zu bilden. Dann würde ich mir Förderstrukturen für Künstler:innen mit Kindern wünschen, die Kunstwelt bleibt nach wie vor recht familienfeindlich. Das betrifft immer noch vorrangig Künstlerinnen, die (die Zahlen zeigen das leider deutlich) auch schon ohne Kinder nach wie vor in der Kunstwelt strukturell benachteiligt sind und es unglaublich schwer haben, beim ersten Kind nicht direkt rauskatapultiert zu werden. Und nicht zuletzt sehe ich rückblickend bei mir und bei vielen anderen, dass die eigentlich harte Zeit eher so ab 40 beginnt, weil es da kaum noch Fördermöglichkeiten gibt, die einem das Durchhalten etwas erleichtern würden.

3. Welche Strukturen sind für dich wichtig, um deine künstlerische Praxis voranzubringen? Wie organisierst du dich?

Das Wichtigste sind auf jeden Fall langjährige und enge Freundschaften mit anderen Künstler:innen und Kulturschaffenden, das ist das Netz, das mich trägt. Das sage ich auch immer meinen Studierenden. Kein:e angesagte:r Kurator:in, keine großartige Galerie ersetzt diese Basis! Das sind die Sofas in anderen Städten, auf denen man schläft, wenn man mal wieder eine Ausstellung ohne vernünftiges Budget macht, das sind die nächtlichen Diskussionen, die einen davon abhalten alles hinzuschmeißen, das sind die wichtigen Momente geteilter Freude an der Kunst, die einen tragen und helfen, die eigene Arbeit weiterzuentwickeln.
Darüber hinaus habe ich das Glück, ein halbwegs organisierter Mensch zu sein. Auch die Tatsache, dass ich mir mein Studium zum größten Teil selbst finanziert habe, hat mir geholfen. So war ich von Anfang an den mühsamen Spagat zwischen Jobs und Atelierzeit gewohnt, der Übergang in die künstlerische Selbstständigkeit war dadurch gar nicht so groß.
Aber egal in welchem Alter oder Karriereabschnitt, der Kampf um die Atelierzeit bleibt und jede Stunde muss oft mühsam erarbeitet werden.

4. Du bist seit einigen Jahren mit deiner Arbeit international unterwegs, insbesondere auch in außereuropäischen Kontexten. Wie erlebst du die Arbeits- und Rahmenbedingungen des internationalen Kunstbetriebs, insbesondere im Zusammenhang mit den aktuellen Krisen?

Natürlich gibt es große Veränderungen, natürlich gibt es weniger Geld für Kunst, natürlich verschärfen sich bestimmte Debatten, aber meine eigene Position bleibt dennoch sehr privilegiert. Die Rahmenbedingungen sind natürlich ganz unterschiedlich.
Brutal sind diese Veränderungen vor allem für Künstler:innen aus außereuropäischen Ländern, die in Europa temporär oder langfristig arbeiten möchten. Für sie ist es fast unmöglich geworden, ein Visum z. B. für Ausstellungen oder Projekte in Europa zu erhalten, selbst wenn diese in staatlichen Institutionen stattfinden, von kleineren Projekten ganz zu schweigen. Das sich so weltoffen gebende Deutschland ist da leider ganz vorne mit dabei.

Aber auch für nicht-europäische Künstler:innen, die dauerhaft in Europa leben, wird die Lage immer prekärer und problematischer. Die wenigsten Institutionen, egal ob Hochschulen oder Ausstellungsorte machen sich bewusst, wie unfassbar viel Energie, Zeit und Geld diese Künstler:innen aufbringen müssen, um zumindest temporäre Stabilität zu haben. Und nur sehr wenige Institutionen nehmen ihre Verantwortung wahr und unterstützen die Künstler:innen dabei.

5. Du hast von 2013 bis 2023 an der Villa Arson in Nizza gelehrt, im Mai dieses Jahres hast du eine Professur an der ABK Stuttgart angetreten.  Wie bereitest du deine Studierenden auf ihre spätere Laufbahn vor? Hast du den Eindruck, dass Künstler:innen heute oder in Zukunft mit anderen Kompetenzen ausgestattet sein müssen als noch vor zehn, zwanzig Jahren?

Notwendige oder sinnvolle Kompetenzen ändern sich überall, auch im Kunstbetrieb.
Die Vorbereitung an den französischen Hochschulen funktioniert teilweise anders, zumindest an einer Hochschule wie der Villa Arson in Nizza. Als Lehrende hatte ich dort die Möglichkeit, Kurator:innen und Künstler:innen zu Diplomen und Präsentationen einzuladen, und auch die Diplomausstellungen werden von externen Kurator:innen begleitet. Das ermöglicht den Studierenden in Frankreich, bereits während des Studiums wichtige professionelle Kontakte zu knüpfen. Und man lernt, seine Arbeit einem unbekannten Fachpublikum zu präsentieren, das ist wirklich wertvoll. Ich sehe im Vergleich, dass sich die Studierenden in Stuttgart da zum Teil doch recht schwertun: daher sind Treffen mit Kurator:innen, aber auch mündliche Präsentationen, Portfolioberatung wichtiger Bestandteil meines Unterrichts. Ich lege auch großen Wert darauf, dass die Studierenden ins Ausland gehen und sich nicht nur von einer (regionalen) Kunstszene abhängig machen.
Mir ist es aber auch wichtig zu vermitteln, dass das Kunstsystem ein ausdifferenziertes Biotop ist, in dem jede:r seine:ihre biologische Nische finden kann. Es geht als nicht darum, um jeden Preis „Karriere zu machen“, sondern den Platz im Kunstsystem zu finden, der einem entspricht.

6. Momentan bist du als Mentorin am „Kunstbüro Mentoring“ beteiligt. Worin liegt für dich die besondere Qualität eines solchen Programms?

Wie schon zu Beginn erwähnt, ein solches Programm hätte mir sicherlich geholfen, Wissen, Netzwerke und Kompetenzen zu entwickeln, die ich mir so mit viel Zeit und Mühe selbst erarbeitet habe. Besonders relevant ist für mich dabei der intergenerationelle Aspekt. Ich denke es ist sehr hilfreich für junge Künstler:innen, im Austausch mit Mentor:innen zu sein, die schon 10, 15 Jahre länger im Geschäft sind. Und es ist natürlich auch spannend für die Mentor:innen im Kontakt mit jüngeren Künstler:innen zu sein, so bleibt man auf dem Laufenden!

7. Was interessiert dich an deiner Rolle als Mentorin und wie sieht deine Zusammenarbeit mit Gin Bahc im Rahmen des Programms konkret aus?

Gins Arbeit hat mich interessiert, weil sie so vielseitig arbeitet und wirklich eine aktuelle, ganz eigene künstlerische Sprache jenseits von irgendwelchen Modeerscheinung entwickelt hat, sie ist mir gleich aufgefallen. Sie ist sehr fein in ihren Beobachtungen, gerade auch des deutschen Umfelds, ihrem scharfen, ehrlichen und oft humorvollen Blick entgeht nichts!

Auch wenn ich als Künstlerin mit einem deutschen Pass in Frankreich oder Marokko einen eher privilegierten Status habe, so weiß ich selbst von meinem Leben im Ausland, dass es manchmal schwierig ist, sich in der örtlichen Kunstszene nachhaltig zu etablieren und ich weiß auch von der Betreuung vieler Studierender, die aus außereuropäischen Ländern kommen, dass ihr Alltag hier voller Hürden ist, die sie erst einmal meistern müssen, bevor sie überhaupt zum eigentlichen Arbeiten kommen:  Sprache, Visum, Krankenkasse, Verwaltung etc. aber diskriminierende Strukturen, alltäglicher Rassismus oder einfach die ungeschriebenen Gesetze der europäischen oder deutschen Kunstszenen. Vielen deutschen Künstler:innen oder Institutionen ist oft gar nicht klar, was das für ein Kampf ist. Gin ist zwar sehr autonom und auch erfolgreich mit ihrer Arbeit. Ich hoffe aber, dass ich mit meinen Erfahrungen und meinen Kontakten zumindest teilweise den Weg ein kleines bisschen erleichtern kann. Dazu gehören auch praktische Dinge wie Bewerbungen oder Portfolios gemeinsam zu überarbeiten. Es geht aber in unseren Gesprächen vor allem um die Kunst, die Inhalte und unsere jeweilige Position als Künstlerin. Und wir sind gerade auch dabei, ein gemeinsames Projekt an der Schnittstelle zwischen Zeichnung und Performance zu entwickeln.

8. Woran arbeitest du aktuell? Worauf freust du dich?

Ich habe gerade eine größere institutionelle Einzelausstellung abgeschlossen, parallel dazu ist im Oktober ein Katalog erschienen, der einen Überblick über Zeichnungen, Collagen und Arbeiten auf Papier der letzten 18 Jahre gibt. Zudem waren die letzten Monate vom Hochschulwechsel geprägt, das war ein ziemlicher Marathon zwischen Nizza, Marseille und Stuttgart. Ich freue mich daher vor allem darüber, dass es nun hoffentlich irgendwann etwas ruhiger wird, und dass ich Zeit habe, mich mit meinem Rechercheprojekt zu Zeichnung als emanzipatorischer Praxis zu beschäftigen, an dem ich seit rund zwei Jahren arbeite. In Zukunft freue ich mich vor allem darauf, mich einfach im Atelier zu verkriechen und Neues zu beginnen.

(November 2023)

Foto: Gin Bahc

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