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8 FRAGEN AN SOPHIA POMPÉRY
In ihren Arbeiten lenkt Sophia Pompéry den Blick auf scheinbar Alltägliches und macht das Besondere sichtbar. Die Kerzenflamme, die keinen Schatten wirft; das auf Dielen aufgetragene Wasser, das die Form eines Fensters widerspiegelt; zwei Popcornflocken, die gleichförmig zu sein scheinen. Ihr konzeptionelles Werk bewegt sich zwischen Installation, Fotografie und Video.
Sophia Pompéry wurde vielfach ausgezeichnet, ihre Arbeiten werden national und international präsentiert. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit ist sie in mehreren Kulturnetzwerken aktiv und leitet seit 2017 das Zentrum für Absolvent:innen der Weissensee Kunsthochschule Berlin.
1. Du hast bei Karin Sander Bildhauerei an der Weissensee Kunsthochschule Berlin studiert und warst bis 2011 Teilnehmerin am Institut für Raumexperimente bei Olafur Eliasson an der Universität der Künste Berlin. Welches waren deine ersten Schritte in die professionelle künstlerische Tätigkeit?
Der Übergang von der Hochschule in den Beruf war bei mir ein fließender. Ich organisierte ein studentisches Seminar, „Studio Berlin”, in dem wir Künstler:innen besuchten und sie über ihre ersten Schritte interviewten. Die praktische Seite (Art Handling, Buchhaltung, Zusammenarbeit mit Galerien, wirtschaftliche Aspekte rund um Produktion und Verkauf) lernte ich im Studentenjob, als Assistentin bei einer Videokünstlerin. Meine Professor:innen, insbesondere Karin Sander und Christina Werner (Studio Eliasson) haben verschiedene Lehrformate angeboten, Studio Visits und Vorträge organisiert, um einen Wissenstransfer von Berufsrealität zum Studium zu ermöglichen. Sie haben mich auch nach dem Studium viel unterstützt, für Stipendien und Ausstellungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Ein Preis für meine Diplomarbeit und die dazugehörige Preisträgerausstellung führte zum Kontakt zu einem bekannten Kurator und über ihn zu ersten Verkäufen, einer Museumsausstellung und zur ersten Galerievertretung.
2. Welche Stipendien, Preise und anderen Förderungen hast du zu Beginn deiner Karriere erhalten und inwiefern haben dich diese Programme bei der Weiterentwicklung deiner Arbeit unterstützt? Welche Formen der Künstler:innen-Förderung würdest du dir darüber hinaus wünschen?
Ich habe im ersten Jahr nach dem Studium sehr viele Bewerbungen geschrieben. Unroutiniert waren das drei Tage Arbeit pro Bewerbung, netto 3 Monate über das Jahr verteilt. Die Ausbeute war ein zweimonatiges Stipendium im Künstlerdorf Schöppingen: Eine negative Bilanz, könnte man meinen, aber es war doppelt nützlich für mein Netzwerk. Ich habe in Schöppingen Freundschaften geknüpft, die heute noch, auch beruflich, wichtig für mich sind. Auch haben in den Auswahlprozessen der anderen Bewerbungen viele Jurys meine Arbeiten gesehen. Dieses Fachpublikum hätte ich damals nicht zu mir ins Atelier bekommen. So ergaben sich, teilweise zwei Jahre später, diverse Rückläufer und Ausstellungsmöglichkeiten.
Als besonders wertvoll empfand ich das Toni und Albrecht Kumm Stipendium, das mir zwei Jahre einen Atelierplatz zur Verfügung stellte, und das Projektstipendium der Stiftung Kunstfonds, das in Kooperation mit dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden meine erste institutionelle Einzelausstellung und den dazugehörigen Katalog finanzierte.
3. Welche Strukturen sind für dich wichtig, um deine künstlerische Praxis voranzubringen? Wie organisierst du dich?
Ungesund: Ich brauche Deadlines, um produktiv zu sein. Also sorge ich für Deadlines. Ich überlege, welche Arbeit ich delegieren kann, arbeite lieber mit Zielen, als mit To-Do-Listen und streckenweise gebe ich mir E-Mail- und Social Media-Verbot um den Fokus auf das Arbeitsvorhaben zu behalten. Abwechselnd mit meinem Partner verbringe ich jeden zweiten Nachmittag mit unserem Sohn (3). Ich arbeite von 9 bis 15 Uhr und von 21 bis 23 Uhr oder länger. Hin und wieder habe ich ein Date mit mir selbst.
4. Wie erlebst du die Arbeits- und Rahmenbedingungen des Kunstbetriebs, insbesondere im Kontext der aktuellen Krisen?
Wie lang darf die Antwort werden? Online is the new normal. Infolge der Digitalisierung sind wir inmitten einer Machtverteilungsfrage. Ich sehe den Kunstmarkt darin als besonders symptomatisch. Hier zeigt sich vieles in noch größerer Deutlichkeit, was aber bezeichnend für viele Wirtschaftszweige ist. Daher ist der Kunstmarkt ein perfektes Beispiel, um aktuelle Tendenzen zu untersuchen. Das Berufsbild Künstler:in ist heute ein ganz anderes, als noch vor 20 Jahren. Was bedeutet das für das eigene Selbstverständnis als Künstler:in? Welche strukturellen Möglichkeiten entstehen in diesem Wandel? Neben einer fundierten künstlerischen Arbeit gewinnt die Fähigkeit der Vermittlung durch uns Künstler:innen und die Darstellung unserer Arbeit an Bedeutung. Gleichzeitig leben wir in einer Ökonomie der Unknappheit und Bilderflut. Genie-Kult und Einzelkämpfertum sind keine zukunftsfähigen Strategien mehr – dafür werden Mitstreiter:innen und Bewegungen an Bedeutung gewinnen. Regionales, dezentrales Arbeiten wird möglich. Es entstehen neue Wege jenseits des tradierten Galerien-Systems. Insgesamt empfinde ich diese Entwicklung als positiv.
5. Neben deiner eigenen Praxis leitest du seit 2017 seeup, ein Workshop-Programm zur kreativen und unternehmerischen Qualifizierung an der Weissensee Kunsthochschule Berlin. Worin liegt die besondere Qualität des Programms?
Wir müssen besser auf dieses sich ändernde Berufsbild vorbereiten, in dem digitale Vernetzung eine immer größere Rolle spielt. Digitalisierung ist kein Hurricane, der unkontrolliert über das Land fegt, sondern kann und muss von uns mitgestaltet werden.
Unter welchen Bedingungen wird Kunst heute produziert, präsentiert, vermittelt und verwertet? Wie kann ich mir eigene Strukturen aufbauen, damit ich nachhaltig kreativ bleiben kann? Wer verdient an der Kunst und wie können wir Strukturen jenseits des klassischen Kunstsystems bzw. -marktes schaffen, die eine faire(re) Beteiligung aller Mitwirkenden herstellen? Welche neuen Formen der Kooperation, auch interdisziplinär, sind denkbar? Welche bisher nicht mitgedachten gesellschaftlichen Bereiche könnten heute von Künstler:innen maßgeblich mitgestaltet werden?
Diesen und ähnlichen Fragen stellen wir uns – wie auch das Kunstbüro mit seiner Arbeit in Baden-Württemberg – in Workshops und Talks.
6. Welchen Stellenwert nimmt deine Tätigkeit bei seeup neben deiner künstlerischen Praxis ein? Bzw. worin liegt dein spezifisches Interesse in der Arbeit für see up?
Das Stundenkontingent für see up kann ich flexibel an meine Ausstellungspraxis anpassen. Ich genieße es, mit Kolleg:innen im regelmäßigen Austausch zu berufsrelevanten Fragen zu stehen, ihnen zu helfen, den roten Faden zu formulieren und sich kommunikativ fit zu machen, oder mit ihnen gemeinsam an individuellen Strategien zu feilen. Ich sehe, was bei anderen in der Pipeline ist und lerne viel.
7. Welchen Rat würdest Du jungen Künstler:innen mit auf den Weg geben?
Misstraue jedem, der eine pauschale Antwort auf diese Frage hat.
8. Auf was oder auf welches Projekt freust Du Dich in diesem Jahr?
Auf die Biennale der Künstlerinnen im Haus der Kunst München im August/September und auf mein aktuelles Arbeitsvorhaben „Ground Control”. An der Schnittstelle zur Physik transformiere ich bekannt Geglaubtes, z. B. Haushaltsgegenstände, Landkarten und Messinstrumente in Parabeln. Ein tiefschwarzer Kreis, der am Rand Metastasen artig zerfressen ist, könnte ein Vexierbild sein, entpuppt sich aber als physische Karte des Nordpols mit der Lichtverschmutzung der angrenzenden Kontinente. Maßstäbe verkehren sich zu Mikado und die fotografische Langzeitbelichtung eines leuchtenden Kinderglobus setzt alles auf Null und lässt die Erde homogen weiß erstrahlen. Wieviel Meter Mee(h)r sind 2°C? Dieses Arbeitsvorhaben gilt dem Kräfteverhältnis zwischen physikalischen Gesetzen, Mensch und Umwelt. Die epochale Auswirkung des Klimawandels aus subjektiver Perspektive zu erfassen, ist existentiell, nur nahezu unmöglich. Diese Zerbrechlichkeit menschlicher Maßstäbe festzuhalten ist mein Ziel.
(Juni 2023)